Ich war so acht oder neun Jahre alt, als ich die Bekanntschaft mit Lakritze machte. Ich lebte mit meinen Eltern in einem Dorf an der Werra, welches sich in der so genannten Sperrzone befand, als unser Land noch zweigeteilt war. Mein Vater war von Beruf Bergmann und durch seinen Schichtdienst selten zu Hause. Meine Mama hat mich und meine beiden jüngeren Geschwister zu Hause betreut und versorgt.

Meine Cousine, die fünf Jahre älter war als ich und im Nachbarhaus wohnte, brachte eines Tages eine Stange Lakritze und eine weiß-orange verpackte kleine Dose Salmiak-Pastillen zum Spielen mit auf den Dorfplatz.

Ich war schon immer verfressen und aß ohne mich um die Anderen zu kümmern, beides einfach auf. Es schmeckte so gut, die Lakritze war süß und klebrig, die Salmiak-Pastillen waren scharf, fest und der Salzgeschmack blieb lange noch auf der Zunge, auch dann noch, als meine Cousine bemerkte, dass ihre Wegzehrung in meinem Mund verschwunden war. Sie schrie mich an und war richtig böse auf mich, nie wieder würde sie mit mir rausgehen, drohte sie. Ich schämte mich und wollte es irgendwie wieder gut machen. Ich ging in den Dorfladen am Ende der Straße und schaute nach, ob ich Ersatz finden könnte und erst beim Suchen fiel mir ein, dass ich ja gar kein Geld hatte und zu Mutti gehen und fragen ging auch nicht, dann hätte ich sagen müssen wofür und warum und hätte mich noch mal ordentlich schämen müssen.

Die nun dämliche Alternative: Ich nehme es mit —- ohne zu bezahlen………………

Ich stellte mich mit dem Rücken zum Regal, und griff mit den Händen hinter mich, ich ahnte nicht, dass mich die Verkäuferin beobachtete und als ich mit der Dose im Schlüpfer hinten drin den Laden verlassen wollte, griff sie mich am Schlafittchen und was nun kam, an Schimpf, Schande und Drohungen, das hat wohl gereicht, nie wieder über Stehlen nachzudenken, gar nicht zu versuchen irgendwem etwas ungefragt wegzunehmen. Und als ich meinem Vater vorgeführt wurde, der gerade vor dem Laden an der Haltestelle aus dem Schichtbus ausstieg, da bekam ich meine erste Ohrfeige, an die ich mich erinnern kann, überhaupt.

Ich esse trotzdem heute noch gerne schöne scharfe Lakritze, denn der Geschmack auf der Zunge erinnert mich an dieses Erlebnis und das man ehrlich durchs Leben gehen sollte…………..und bis auf ein paar Notlügen, die (hoffentlich) Niemandem geschadet haben, habe ich das auch einhalten gehalten —- bis heute.

Seit es möglich ist, via Internet nach Dingen zu suchen, die aus irgendeinem Grund verschwunden scheinen, habe ich vor ein paar Wochen nach „Salziger Lakritze“ gegoogelt und den Laden von Frau Matthias gefunden. Nun kann ich mein geliebtes und lange Zeit vermisstes Lakritz wieder genießen, an meinen geliebten Vater denken, der leider nicht mehr lebt und freue mich über den Geschmack auf der Zunge der viele verschiedenste Gefühle auslöst………….so ist das mit dem Lakritz.

 

Geschrieben von Eva Schubert, Gospenroda  am 3.November 2012